Februar 2020: UN-Kinderrechtsausschuss rügt Österreich für nicht notwendige Behandlungen an inter* Kindern

Bei seiner 83. Sitzung in Genf am 30. und 31. Januar 2020 prüfte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes (CRC) die Menschenrechtsbilanz Österreichs. Die Organisation Zwischengeschlecht brachte zuvor einen Schattenbericht ein, der grobe Menschenrechtsverletzungen kritisierte.

UNO fordert Verbot von IGM

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes kritisierte nicht notwendige Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern als „schädliche Praxis“ und forderte Österreich auf, Intersex-Genital-Verstümmelungen (IGM) und sonstige nicht-notwendige und nicht-konsensuelle Behandlungen zu unterlassen. Bereits 2015 wurde Österreich für IGM-Praktiken gerügt. Der UN-Ausschuss gegen Folter (CAT) stufte sie als grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlungen ein.

„Wir hoffen, dass diese erneute, sehr klare Rüge von der österreichischen Regierung aufgegriffen wird und nun endlich zu einem Verbot von IGM führt“, so Luan Pertl von der Plattform Intersex Österreich und dem Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ).

Fehlende Daten und fehlender Schutz

In Österreich gibt es kaum Daten über die durchgeführten medizinischen Behandlungen an Kindern und Jugendlichen mit Variationen der Geschlechtsmerkmale. Der UN-Kinderrechtsausschuss fordert Österreich nun auf, entsprechende Daten zu sammeln, um intergeschlechtliche Kinder wirksam vor nicht notwendigen Eingriffen zu schützen.

„Die Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschuss machen deutlich, dass auch die Empfehlungen aus dem Gesundheitsministerium von 2019 keinen ausreichenden Schutz vor nicht-konsensuellen und nicht-lebensnotwendigen Behandlungen darstellen. Es braucht noch eindeutigere Bestimmungen“, erklärt Tobias Humer von VIMÖ.

„Österreich muss nun endlich dafür Sorge tragen, die körperliche Unversehrtheit intergeschlechtlicher Kinder zu garantieren“, so Gabriele Rothuber, Intersex-Beauftragte der HOSI Salzburg.

VIMÖ bedankt sich bei der Organisation Zwischengeschlecht für die Erstellung der Schattenberichte und den unermüdlichen Kampf gegen IGM.

Links:
Presseaussendung VIMÖ
Concluding Observations UNCRC
Positionspapier VIMÖ/Plattform Intersex 2020
Empfehlungen des BMG 2019

Oktober 2019: Veröffentlichung der „Empfehlungen zu VdG“ des Gesundheitsministeriums

Ohne öffentliche Bekanntmachung wurden im September die 95 Seiten starken „Empfehlungen zu Varianten der Geschlechtsentwicklung“ des Gesundheitsministeriums auf dessen Homepage veröffentlicht. Das Papier wurde in Zusammenarbeit mit Gesundheits- und Rechtsexpert*innen sowie Vertreter*innen von Selbsthilfeorganisationen in langen Sitzungen erarbeitet und soll einen Meilenstein im Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (VdG) darstellen.

VIMÖ, die Plattform Intersex Österreich und HOSI Salzburg waren an der Erstellung beteiligt und sehen in dem Papier die Realität recht gut abgebildet: Ein Schwanken zwischen der theoretischen Anerkennung von Grundrechten auch für intergeschlechtliche Menschen – und der trotzdessen weitergeführten Pathologisierung und Behandlung von Variationen der Geschlechtsmerkmale.

VIMÖ hat nun gemeinsam mit HOSI Salzburg und Plattform Intersex eine Presseaussendung dazu ausgeschickt, einerseits um das Papier bekannt zu machen und andererseits auch, um Kritik daran zu formulieren:

Linz zu den Empfehlungen auf der Homepage des BMASGK
Link zur Presseaussendung von VIMÖ/PIÖ/HOSI Salzburg (bzw. hier als pdf)

Februar 2019: EU-Resolution zu Inter*

Das EU Parlament hat eine Resolution zum Schutz intergeschlechtlicher Menschen gefasst. „Diese Resolution ist ein Meilenstein für die Intersex Community in Europa“, so Luan Pertl, Obmensch der Plattform Intersex Österreich. „Auch die österreichische Regierung muss nun handeln und einen sofortigen Stopp von nicht konsensuellen Operationen und medizinischen Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen umsetzen.

zum Weiterlesen: gemeinsame Presseaussendung von VIMÖ, Plattform Intersex und HOSI Salzburg, die Aussendung von OII Europe und die Resolution selbst

Dezember 2018: Innenministerium ordnet Gutachtenzwang beim Dritten Geschlechtseintrag an

Am 20.12.2018 hat das BMI einen Erlass zur behördlichen Umsetzung des dritten Geschlechtseintrages herausgegeben, weit weg vom Erkenntnis des VfGH (Verfassungsgerichtshof) vom 15. Juni 2018. Statt der im Erkenntnis zitierten Selbstbestimmung wird nun ein ärztliches Gutachten gefordert, nicht vom Arzt des Vertrauens, sondern von einem VdG-Board – einer medizinischen Instanz zu Varianten der Geschlechtsentwicklung, installiert vom Gesundheitsministerium.

Das ist ein gewaltvoller Schritt gegen intergeschlechtliche Personen: ein Akt, der erneut pathologisiert, phänomenisiert und retraumatisierend wirkt. Als Verein, der für die Menschenrechte intergeschlechtlicher Personen arbeitet, müssen wir das Innenministerium ganz klar auffordern, diesen Erlass zu überdenken.

Zum Weiterlesen unsere Presseaussendung:

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20181227_OTS0029/dritter-geschlechtseintrag-in-dokumenten-gutachtenzwang-statt-selbstbestimmung

Oktober 2018: VIMÖ Stellungnahme zur Umsetzung des dritten Geschlechtseintrags

Am 26.10. wird international der Intersex Awareness Day begangen – um die Sichtbarkeit von intergeschlechtlichen Menschen zu erhöhen und auf das Unrecht hinzuweisen, das ihnen widerfährt. Ein dritter Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumenten soll dazu beitragen, ihre Rechte in Österreich anzuerkennen – jedoch wird das im Juni veröffentlichte VfGH-Erkenntnis dazu vom Innenministerium sehr restriktiv interpretiert. Es sollen z.B. nur jene Personen Anspruch auf die dritte Option haben, welche mit medizinischen Gutachten belegen können, dass bei ihnen eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. VIMÖ ist damit unzufrieden und fordert Selbstbestimmung statt erneuter Pathologisierung!

Zum Weiterlesen:

Link zur OTS-Presseaussendung vom 24.10.

Link zur Stellungnahme von VIMÖ:

Juni 2018: Sieg für Alex Jürgen*! Intersex-Aktivist erkämpft dritte Option

VfGH entscheidet: Nach einer Klage der intergeschlechtlichen Person Alex Jürgen* muss Österreich neben „männlich“ und „weiblich“ einen dritten Geschlechtseintrag schaffen.

Der Verfassungsgerichtshof gab heute bekannt, dass neben „weiblich“ und „männlich“ ein weiterer Geschlechtseintrag in persönlichen Dokumenten ermöglicht werden muss. Ein voller Erfolg für Alex Jürgen* und ein Sturm der Freude bei allen Menschen, denen mit diesem Entscheid endlich zu mehr Anerkennung, Sichtbarkeit und ihren Rechten verholfen wird! „Heute habe ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, als das anerkannt zu sein, was ich bin. So wie ich geboren wurde“, so Alex Jürgen* in einer ersten Reaktion.

Die Menschenrechtsinitiativen VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und HOSI Salzburg gratulieren zu diesem Erfolg und nehmen sie mit freudiger Zuversicht auf. „Endlich kann niemand mehr verleugnen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Vielfalt ist die Norm und die Existenz von geschlechtlicher Vielfalt darf nicht länger problematisiert und pathologisiert werden! Dank dem Mut von Alex Jürgen*, einen richtigen Eintrag einzufordern, muss sich das gesamte Rechtssystem mit der Frage der rechtlichen Gleichstellung und dem Schutz aller Geschlechter auseinandersetzen“, so Tinou Ponzer von VIMÖ.

„Das Wichtigste ist, dass nun eine Option geschaffen wird, die keine Zwangsoption ist, sondern auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung beruht“, betonen Tobias Humer Obmensch von VIMÖ und Luan Pertl Obmensch von VIMÖ Zweigverein Wien. „Bürokratische Hürden zur Änderung des persönlichen Geschlechtseintrags, sei es in der Geburtsurkunde oder in anderen Identitäts-Dokumenten wie dem Reisepass, müssen abgebaut werden. In der Umsetzung des dritten Personenstands wünschen wir uns eine Option wie ‚Inter/Divers‘, welche keinesfalls auf medizinischen Diagnosen beruhen darf. Wir fordern Selbstbestimmung statt Pathologisierung!“

Weiterlesen: gemeinsame Presseaussendung von VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und HOSI Salzburg

März 2018: VfGH beschließt Prüfung des Personenstandsgesetzes

VfGH beschließt amtswegige Prüfung des Personenstandsgesetzes: Sind Betroffene im Recht auf geschlechtliche Identität beschränkt?

Nach einer Klage der intergeschlechtlichen Person Alex Jürgen* beschließt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einem heute veröffentlichten Prüfungsbeschluss die amtswegige Prüfung des Personenstandgesetzes. Damit äußert der VfGH berechtigte Zweifel an der aktuellen Handhabung des Gesetzes, wonach das Geschlecht einer Person zwingend als „männlich“ oder „weiblich“ anzugeben ist. Diese Praxis könnte gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, da sie intergeschlechtlichen Menschen wie Alex Jürgen* einen wahrheitsgemäßen Eintrag des eigenen Personenstands verwehren. Denn: Alex Jürgen* ist nicht „männlich“ oder „weiblich“, sondern eben als intergeschlechtlich zur Welt gekommen.

Für die Menschenrechtsinitiativen VIMÖ, Plattform Intersex Österreich und die HOSI Salzburg ist der heutige Prüfungsbeschluss ein Schritt in die richtige Richtung.

Weiterlesen: gemeinsame Presseaussendung von VIMÖ, Plattform Intersex und HOSI Salzburg